Veranstaltung: | LDK Osnabrück 2023 |
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Tagesordnungspunkt: | 7. Für eine Niedersächsische Asyl- und Migrationspolitik der Humanität und Vernunft |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | LDK |
Beschlossen am: | 12.11.2023 |
Antragshistorie: | Version 2 |
Für eine niedersächsische Asyl- und Migrationspolitik der Humanität und Vernunft
Beschlusstext
Mit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine begann die größte Fluchtbewegung
in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Doch nicht nur aus der Ukraine, sondern
auch aus anderen Ländern wie Afghanistan oder Syrien suchen Menschen Schutz bei
uns in Niedersachsen. Den damit einhergehenden Herausforderungen müssen wir uns
stellen und Antworten bieten, die real existierende Probleme lösen.
Kriege, Armut, Repression und auch der Klimawandel zwingen viele dazu, einen
sicheren Ort zu suchen. Dabei stehen für uns zwei Dinge im Vordergrund: Wir
wollen unserem historischen Anspruch gerecht werden, den uns das Grundrecht auf
Asyl mitgibt. Die individuelle Asylprüfung bleibt unantasbar. Zum anderen wollen
wir Niedersachsen als Migrationsgesellschaft weiter gestalten. Deshalb werben
wir für eine Kultur der Integration und Teilhabe ab dem ersten Tag, gemeinsam
mit Unternehmen, Gewerkschaften, sozialen und kirchlichen Verbänden. So können
wir der Realität gerecht werden, dass wir in den nächsten Jahren auf Zuwanderung
angewiesen sein werden. Wir setzen uns ein für eine offene und liberale
Migrationsgesellschaft in Einklang mit der Genfer Flüchtlingskonvention und Asyl
im Grundgesetz. Menschen auf der Flucht dürfen nicht kriminalisiert und
entrechtet werden. Wir GRÜNE in Niedersachsen stehen für eine humane und
vernünftige Asylpolitik, keine Scheinlösungen. Wir GRÜNE in Niedersachsen stehen
für eine humane und vernünftige Asylpolitik, keine Scheinlösungen.
Das Grundrecht auf Asyl verteidigen und Integration und Teilhabe erleichtern
Niedersachsen ist ein weltoffenes Einwanderungsland und war es schon immer. Wir
möchten allen Menschen ermöglichen, frei von Angst und Diskriminierung in einem
Bundesland der Chancengleichheit leben zu können. Den jetzigen wie den kommenden
Herausforderungen in der Aufnahme müssen wir gerecht werden. Auch wenn wir aus
Niedersachsen heraus nicht die weltpolitische Lage bedeutend verändern können,
tragen wir dennoch unseren Teil dazu bei. Als GRÜNE in Niedersachsen leisten wir
mit Sachpolitik und handfesten Vorschlägen einen Beitrag, der den teils
überhitzten Diskurs auf feste Beine stellen soll. In diesem Sinne begrüßen wir
es, dass die Ministerpräsident*innenkonferenz eine Einigung für eine höhere
Finanzierungsbeteiligung des Bundes an der Geflüchtetenunterbringung,
Verwatlungsvereinfachungen und die Digitalisierung erzielt hat. Die Menschen
erwarten von der Politik Antworten auf die Herausforderungen im Land und dass
wir gemeinsam konsequente Schritte zur Lösung gehen. Die Debatte ist aber häufig
geprägt von unwirksamen Scheinlösungen und massiven Grundrechtseingriffen in den
Schutz von Geflüchteten. Der Beschluss der Ministerpräsident*innenkonferenz löst
mit der Verschlechterung von Sozialleistungen und Diskussionen über
Asylverfahren außerhalb der EU keine Probleme der Kommunen. Diese Teile des
Beschlusses sind mit unserem Grundrechtsverständnis nicht vereinbar, verschärfen
soziale Probleme und belasten damit die Kommunen noch obendrauf. Wir stellen uns
klar gegen diskriminierende Bezahlkartensysteme, die ebenfalls mit unserem
Rechtssystem unvereinbar sind.
Die Niedersächsischen Gemeinden und Landkreise leisten Großartiges und verdienen
unsere breite Unterstützung bei der Aufnahme von Geflüchteten. Und auch ohne das
große Engagement unzähliger Freiwilliger, Vereinen und Hilfsorganisationen würde
die aktuelle Herausforderung nicht zu meistern sein. Ihnen allen gilt unser
großer Dank und unsere Wertschätzung. Diese Leistung muss gewürdigt und
unterstützt werden.
Unsere niedersächsischen Kommunen sind zu einem großen Teil in
Haushaltssicherungskonzepte gerutscht, da sie ihre vielzähligen Aufgaben kaum
noch ausfinanzieren können. Doch sie sind es, die diese Integrations- und
Teilhabeleistungen vor Ort umsetzen und wo Menschen auf der Flucht ankommen.
Neben der finanziellen Notlage fehlt es auch an kurzfristig verfügbarem
Wohnraum, Kitaplätzen und Lehrkräften. Kommunen brauchen Planungssicherheit und
einfachere Verfahren. Wir nehmen diese Gestaltungsaufgabe weiter an und arbeiten
an Lösungen, die unmittelbar und tatsächlich zur Erleichterung der Situation
beitragen.
Wir stellen fest, dass eine gute Asylpolitik nur durch ein enges Zusammenspiel
aller politischen Ebenen und einem klaren Bekenntnis aller Parteien zu der Suche
nach Lösungen anstatt eines weiteren Aufheizens der Situation gelingen kann.
Dieses muss durch konstruktive anstatt vermeintlich einfache Lösungen geschehen,
die der komplexen Realität gerecht werden. So schaffen wir eine Asyl- und
Migrationspolitik, die dauerhaft Humanität und Vernunft verantwortungsvoll und
solidarisch zusammenbringt. Der Wettlauf um die radikalste Forderung, die am
Ende keine Herausforderung löst, aber politisch Rechtsextreme stärkt, muss
beendet werden.
Schutz statt Scheinlösungen
Um tatsächlich Entlastung für Kommunen zu schaffen, helfen keine Scheinlösungen
wie unwirksame Grenzkontrollen, Sachleistungen oder der Fokus auf Abschiebungen,
denen in der Regel wirksame Rechtsgründe und menschenrechtliche Standards
entgegenstehen. Kommunen müssen strukturell in ihren Finanzen besser aufgestellt
werden, um allen Aufgaben gerecht werden zu können. Überforderte und
unterfinanzierte Kommunen vor Ort gefährden letztendlich demokratische Prozesse
und erschüttern das Vertrauen in die Demokratie.
Es braucht ein klares Bekenntnis aller Ebenen, unsere Kommunen mit dieser
Herausforderung nicht alleine zu lassen. Wir setzen uns deshalb dafür ein, im
Rahmen der Landeskoalition sowie der Bund-Länder-Abstimmungen alle Möglichkeiten
zu prüfen und zu unterstützen, die Kommunen real entlasten. Ein erster Erfolg
ist die Einigung im Rahmen der Bund-Länder-Gespräche, dass Kommunen eine
verlässliche Unterstützung bei der Finanzierung der Aufnahme, Versorgung und
Integration bekommen. In Niedersachsen unterstützt das Land darüber hinaus,
insbesondere auch weiterhin bei der Vorhaltung von Kapazitäten. Es ist ein
wichtiger Schritt, dass auch der Bund hier jetzt mehr leistet und dass es den
Einstieg in ein atmendes System gibt. Dafür hat sich die Landesregierung
erfolgreich stark gemacht.
Neben der Versorgung von geflüchteten Menschen muss sich das Land auch
innenpolitisch auf die Aufnahme von angeworbenen Fachkräften vorbereiten, die
ebenfalls einen Integrations- und Teilhabebedarf haben. Auch hierfür werden in
den nächsten Jahren Kita-Plätze, Wohnungen und Integrationskurse gebraucht.
Wir möchten den Kommunen langfristige Planungssicherheit geben. Das geht nicht
im Sechs-Monats-Rhythmus, sondern braucht längerfristige Sicherheit. Im Zentrum
steht für uns eine bessere und verlässliche Grundfinanzierung von Kommunen bei
der Aufnahme. Die Einführung der pro-Kopf-Pauschale ist hierfür ein erster
richtiger Schritt und stellt einen echten Systemwechsel dar, den wir
grundsätzlich begrüßen. Zur pro-Kopf-Pauschale soll ein Bundes-Investitionsfond
eingeführt werden, der aus Mitteln des Bundes gefüllt wird. Aus diesem Fonds
sollen langfristige Investitionen getätigt werden, die im Zusammenhang mit der
kommunalen Aufnahme von geflüchteten Menschen stehen.
Zusätzliche Kitas und Schulräume werden durch die Aufnahme insbesondere vieler
aus der Ukraine geflüchteter Menschen dringend benötigt. Wir schlagen vor, dass
für diese besonderen Maßnahmen auch Mittel aus dem europäischen Asyl-,
Migrations, und Integrationsfonds (AMIF) beantragt werden sollen. Damit würde
jeder in ein Projekt investierte Euro durch EU-Mittel verneunfacht. Dies ist ein
enormer Hebel, der bisher weitestgehend ungenutzt bleibt.
Die Verteilung in Niedersachsen ist nicht gleichmäßig, denn jede Kommune hat
ihre eigenen Kapazitäten. Denjenigen, die in der Vergangenheit vorgesorgt haben
oder jetzt besonders viel leisten, möchten wir mit einer Sonderzuweisung helfen.
So können sich die lokalen Entscheidungsträger*innen wieder auf das
konzentrieren, was gerade gebraucht wird.
Zur Entlastung der Ausländerbehörden trägt schon jetzt der im
Chancenaufenthaltsrecht angelegte Spurwechsel bei. Den Spurwechsel wollen wir
ausweiten, denn damit können Menschen in die Erwerbsmigration wechseln. Auch die
Reduzierung von Vorspracheterminen und eine bundesweit einheitliche digitale
Aktenführung wären ein entscheidender Beitrag zur Entlastung. Das ist eine
vernünftige und zielführende Maßnahme, im Gegenteil zur Kürzung von
Sozialleistungen – denn dadurch würde die Zahl der Geflüchteten nicht sinken,
aber es würden soziale Probleme verschärft.
Über die Verwendung der Gelder, die vom Bund den Ländern zur Verfügung gestellt
wurden, muss Transparenz hergestellt werden. Die niedersächsische
Landesregierung informiert transparent über die Verwendung der Mittel. Das
Bundesland Bayern hat bisher nur einen Bruchteil der Unterstützung des Bundes an
die Kommunen weitergegeben. Wir möchten deshalb eine Transparenzpflicht
einführen, wie die Mittel des Bundes verwendet werden. Wir hoffen, dass Bayern
ein Einzelfall bleibt.
Ankommen erleichtert: Für mehr Teilhabe ab dem ersten Tag
Wir wollen, dass Niedersachsen ein wirtschaftlich starkes Land bleibt.
Integration und Teilhabe, Sprachförderung, Aus- und Weiterbildung sowie die
Erleichterung der Anerkennung von Abschlüssen bewirken, dass in naher Zukunft
das ganze Land profitiert. Ein wichtiger Baustein für unsere lokale Wirtschaft
sind Arbeits- und Fachkräfte, für die wir ein attraktives Ziel sein müssen.
Darin sind sich Ökonom*innen, aber auch Handwerksbetriebe und Unternehmen einig,
die dringend Mitarbeitende und Auszubildende brauchen. Auch die öffentlichen
Kassen werden entlastet, wenn Menschen ihren Lebensunterhalt selbst verdienen
können.Dies scheitert nicht am Willen der Zugewanderten, eine Tätigkeit
aufzunehmen, sondern an rechtlichen Hürden. Wir setzen uns deshalb dafür ein,
dass Geflüchtete ab dem 1. Tag nach der dreimonatigen Wartefrist arbeiten dürfen
und dass Arbeitsverbote abgeschafft werden.
Zusätzlich müssen Anerkennungs- und Qualifizierungsberatungen als ein
wesentliches Instrument zur Arbeitsmarktintegration von internationalen
Fachkräften gesetzlich verankert werden. Doch darüber hinaus brauchen wir auch
die benötigte und politisch gewollte Willkommenskultur vor Ort.
Niedersachsen ist ein offenes und vielfältiges Bundesland, das die nötigen
Vorkehrungen dafür trifft, damit dieses Zusammenleben in Vielfalt gelingt. Die
meisten Menschen, die zu uns gekommen sind, werden bleiben. Eine
verantwortungsvolle Politik schafft darum die Möglichkeit für eine schnelle und
langfristig gelingende Integration und Teilhabe in die Gesellschaft und in den
Arbeitsmarkt. Dafür muss es eine gemeinsame, verbindliche Verständigung aller
Beteiligten darüber geben, wie das gelingen kann.
Im Rahmen der Vorschläge durch die Ministerpräsident*innenkonferenz fordern wir
eine breite Beteiligung der Zivilgesellschaft und Wissenschaft in der Kommission
des MPK-Beschlusses.
Verschiedenen Studien sind mit dem Versuch gescheitert, den Nachweis zu
erbringen, dass Menschen durch weniger Sozialleistungen nicht nach Deutschland
kommen, Durch Sachleistungen werden den Kommunen zudem weitere bürokratische
Aufgaben auferlegt, dadurch bleiben Probleme ungelöst und Behörden werden
überfordert. Stattdessen müssen Verfahren digitalisiert und vereinfacht werden.
Wie es gehen kann, zeigt Oberbürgermeister Belit Onay mit der Socialcard. Die
geplanten Einschränkungen bei den Leistungen für Asylbewerber*innen in den
ersten drei Jahren werden zur Konsequenz haben, dass zum Beispiel Familien mit
Kindern in dieser Zeit geringere Integrationsleistungen bekommen als mit dem
Bürgergeld. Damit wird Integration und Teilhabe verhindert.
Die Einwanderungs- und Ausländerbehörden in Niedersachsen sowie die
Verwaltungsgerichte müssen personell besser aufgestellt werden und brauchen
Vereinfachung sowie Rechtssicherheit, um Verfahren zu beschleunigen und Engpässe
zu beheben. Auch hierbei spielt die Digitalisierung eine große Rolle.
Migrationsstrukturen auf Landesebene und auf kommunaler Ebene sollen gestärkt
werden. Die großartige Leistung der Migrationsberatungen in Niedersachsen ist
von unschätzbarem Wert. Ihre Arbeit soll dauerhaft auskömmlich finanziert sein.
Auch die unabhängige Asylverfahrensberatung muss ausgebaut und verstetigt
werden.
Ein zentraler Baustein der Bundesebene wird sein, Migrationsabkommen auf
Augenhöhe mit den Herkunftsstaaten zu schließen. So bleiben auch vielen Menschen
gefährliche Fluchtrouten erspart. Wir lehnen die Durchführung von Asylverfahren
außerhalb Europas ab. Diese sind völker- und europarechtlich nicht
durchführbar.Wir begrüßen ausdrücklich, dass es hierzu aus Niedersachsen eine
entsprechende Protokollnotiz in der Bund-Länder-Runde gibt. Menschen werden aus
vielfältigen Gründen auch nach ihrem Asylverfahren nicht zurückgeführt. Diese
Gründe sind so vielfältig, wie die Menschen, die sie betreffen. In vielen
Staaten kann zum Beispiel, obwohl kein rechtlicher Asylgrund vorliegt, aus
humanitären Gründen nicht abgeschoben werden. Menschen, die unmittelbar
ausreisepflichtig sind, müssen zurückgeführt werden. Wie bereits im
niedersächsischen Koalitionsvertrag beschrieben, steht für uns die freiwillige
Ausreise an erster Stelle. Sind Abschiebungen unvermeidbar, gelten die
humanitären Grundsätze und die Berücksichtigung u.a. des Kindeswohls und der
größtmögliche Verzicht auf die oft unverhältnismäßige Anwendung von Haft. Dies
ist unser unverrückbarer Grundsatz.
Niemand verlässt seine Heimat ohne triftigen Grund. Menschen verlassen ihr
Zuhause aufgrund von Konflikten, Krisen oder politischer Verfolgung. Ihr Leid
und ihre Flucht und ihre Menschenwürde ist nicht zu relativieren.Den
menschenrechtswidrigen Umgang mit Geflüchteten an den europäischen Außengrenzen
verurteilen wir und setzen uns dafür ein, dass Menschenrechte eingehalten
werden. Dafür ist eine starke zivile und auch staatlich koordinierte
Seenotrettung erforderlich.
Als GRÜNE sind zwei unserer Herzensthemen, Klima und Demokratie, zentrale
Bausteine, um Fluchtursachen effektiv zu bekämpfen. Wir setzen uns für die
nachhaltigen Entwicklungsziele und humanitäre Unterstützung in betroffenen
Regionen ein, die regionale und bedarfsgerechte Lösungsansätze kooperativ mit
der Expertise der Menschen vor Ort entwickelt. Wir wissen, dass nicht alle
Krisen erfolgreich beendet werden können. Wer in Niedersachsen Schutz findet,
soll von uns jede Unterstützung für den Beginn eines neuen Lebens, der
gesellschaftlichen Teilhabe und Mitbestimmung bekommen. Für Niedersachsen bleibt
der Schutz des einzelnen Menschen mit seinen Bedürfnissen nach Schutz und
Sicherheit der Ausgangspunkt jedes politischen Handelns.